Kompetenz als gefährliche Falle (und wie sie effektiv umgangen werden kann)
Kompetenz ist das sichere Beherrschen von Fähigkeiten. Sie ist wichtig, kann aber auch zu einem unglücklichen Weg werden.
Kompetenz ist das sichere Beherrschen von Fähigkeiten. Sie ist wichtig, kann aber auch zu einem unglücklichen Weg werden.
Mein Ziel als Scrum Master ist es, ein Stärken-orientiertes Team zu gestalten. Dazu ist es notwendig, dass sicher jeder zu einem gewissen Mindestmaß seiner Talente bewusst ist, damit diese zu Stärken ausgebaut werden können.
Deshalb haben wir uns in Gesprächen mit Team-Mitgliedern in letzter Zeit häufig über die Kompetenzfalle ausgetauscht.
Wenn wir gut im Ausführen von Tätigkeiten werden, die wir überhaupt nicht gern tun, wird es nämlich problematisch. Wir werden sachkundig und geschickt im Ausführen von etwas, das wir nicht mögen.
Kompetenz wird dann zu einer Falle, weil wir von Umstehenden als fähig wahrgenommen werden und deshalb mehr Arbeit zu uns kommt, die uns eigentlich keinen Spaß macht.
Wenn die Arbeit aber keinen Spaß macht, dann schöpfen wir nicht unser volles Potenzial aus.
The only way to do great work is to love what you do.¹
— Steve Jobs
Tätigkeiten, in denen wir gut sind, können also eine Schwäche sein. Wenn dem so ist, dann ist Kompetenz ein gefährlicher Weg.
Der Kompetenzfalle entgehen
Um der Kompetenzfalle zu entgehen ist es notwendig, seine eigenen Stärken zu kennen.
Marcus Buckingham, der sich jahrzehntelang mit Talenten beschäftigt hat, beschreibt in seinem Buch “Love & Work” eine simple, aber fundierte Definition von Stärken und Schwächen.²
Eine Stärke ist etwas, das dich stärkt; eine Schwäche etwas, das dich schwächt.
Wenn du einer Tätigkeit nachgehst und du dich im Anschluss stark ausgelaugt und geschwächt fühlst, weil sie dir keinen Spaß macht, dann ist das eine Schwäche.
Eine Stärke ist demgegenüber alles, was dich stärkt. Es ist all das, wofür du dich instinktiv und freiwillig meldest. Es sind die Tätigkeiten, bei denen du das Gefühl hast, die Zeit fliegt einfach so vorüber. Wenn du mit einer dieser Tätigkeiten fertig bist, dann merkst du, dass du gigantische Lernsprünge gemacht hast.
Die Frage, die wir uns also stellen dürfen, wenn wir der Kompetenzfalle auf die Schliche kommen wollen, ist folgende: Wie fühle ich mich während und nachdem ich mit einer Tätigkeit fertig bin?
Marcus Buckingham schlägt dazu eine simple Aktivität vor, die er “Loved it / Loathed it” nennt, um seine Stärken und Schwächen zu überprüfen.³
Stärken identifizieren mit “Loved it / Loathed it”
Alles, was du tun musst ist Folgendes:
Nimm ein Blatt Papier und zeichne eine senkrechte Linie in der Mitte. Die linke Spalte erhält die Überschrift “Loved It” und die rechte “Loathed It” (also in etwa “Liebte es / Verabscheute es”)
Anschließend begleitet dich dieses Blatt durch den Alltag. Wann immer du einer Tätigkeit während der Arbeit oder außerhalb erledigt hast, die du wirklich gern getan oder verabscheut hast, notierst du sie in der entsprechenden Spalte. Mach es am besten, solange der Eindruck noch frisch ist und nicht erst am Ende des Tages.
Führe diese Übung kontinuierlich für eine oder auch zwei Wochen durch. Dann solltest du zwei gut gefüllte Spalten haben. Achte darauf, dass jede Zeile ein Verb enthält. Was genau hast du gearbeitet? Was konkret war die Tätigkeit?
Reflektiere über diese Liste. Welche der Aktivitäten möchtest du häufiger durchführen? Welche weniger oft?
Beschreibe konkrete Handlungspunkte. Was kannst du tun, damit du die Tätigkeiten häufiger tun kannst, die dir besonders liegen? Wer kann dich dabei unterstützen (dein Vorgesetzter, deine Kollegen, deine Freunde, …)?
Fazit
Natürlich kann Arbeit nicht zu 100 % Spaß machen, weil immer wieder unangenehme Dinge auftreten können. Aber ein gewisses Mindestmaß von zehn oder deutlich mehr Prozent sollte drin sein.
Dazu ist es notwendig, seine Talente und Stärken zu kennen und regelmäßig zu überprüfen, ob man noch auf Kurs ist und Gefahr läuft, in die Kompetenzfalle zu tappen.
Die “Loved it / Loathed it” Übung kann bei dieser Überprüfung helfen. Besonders zu empfehlen ist es, sie in Zeiten der Veränderung durchzuführen oder einmal jährlich als kleine Auffrischung.
Literaturhinweise
[1] https://www.goodreads.com/quotes/772887-the-only-way-to-do-great-work-is-to-love
[2] Buckingham, M. (2022). Love + work: How to find what you love, love what you do, and do it for the rest of your life. Harvard Business Review Press.
[3] Marcus Buckingham TV (Regisseur). (2018, Mai 29). How to Do What You Love (in the job that you have). https://www.youtube.com/watch?v=rQwKrZcMPm4