Respekt: 2 wichtige Unterscheidungen, um beeindruckende Zusammenarbeit zu entfalten
Was ist eigentlich Respekt? Wie verhalte ich mich respektvoll? Und warum ist genau das überhaupt erstrebenswert?
Im Herbst 2001 betrete ich das erste Mal eine Kempo Karate-Schule in München und gleich zu Beginn lerne ich, wie man den Lehrer, den Sensei, begrüßt. Das Aufwärmtraining beginnt, die Luft ist nach kurzer Zeit stickig und die Fenster werden geöffnet. Es geht sehr laut zu, deutliche Ansagen werden gemacht, aber trotzdem herrscht eine Atmosphäre des Miteinanders. Bei intensiven Partnerübungen und stressigem Techniktraining wird trotzdem aufeinander geachtet. Zwischendrin wird sich häufig voreinander verbeugt und am Ende des Trainings wird sich wieder vom Lehrer und allen anderen verabschiedet.
Ich hatte gerade frisch die Bundeswehr beendet und mir waren Situationen noch gut in Erinnerung, wo man nicht sonderlich aufeinander achtete, wo man sich gegenseitig unterbrach, reinredete, nicht zuhörte oder gar beleidigend, verletzend oder herablassend verhielt — wo der andere einem egal schien. Vielleicht kennst du das aus eigener Erfahrung: Das kann sich äußerst unangenehm anfühlen.
Viele Jahre später, im Jahr 2020, bin ich neu in den Job als Scrum Master eingestiegen. Ich habe mich gefreut, dass der Wert “Respekt” besonders hervorgehoben wird. Die Mitglieder eines Scrum-Teams respektieren sich gegenseitig als fähige, unabhängige Menschen. Außerdem werden sie von den Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten, als solche respektiert.1 Laut den Erfindern von Scrum scheint Respekt also für die Zusammenarbeit eine besondere Bedeutung zu haben.
In den 20 Jahren Karate-Training und später als Scrum Master habe ich mich immer wieder gefragt, was ist eigentlich Respekt? Wie verhalte ich mich respektvoll? Und warum ist genau das überhaupt erstrebenswert?
Was Respekt ist
Respekt ist ein sehr facettenreicher Wert, der Achtung, Anerkennung, Toleranz, Höflichkeit und Wertschätzung in sich trägt. Respekt hat aber auch mit Autorität, Prestige und Angst zu tun.
“Respekt gewinnt immer im Zusammenhang an Bedeutung.” sagte mein Karate-Lehrer ein paar Jahre nachdem ich das Training begann. “Du kannst Respekt haben vor dem Alter. Du kannst Respekt haben, vor dem Wissen einer Person und du kannst Respekt haben vor einem zähnefletschenden Hund.”
Respekt vor dem Alter drückt man aus, wenn man zum Beispiel einer älteren, verunsicherten Dame über die stark befahrene Straße hilft. Respekt vor dem Wissen und der Weisheit zeigt man, wenn man den elaborierten Argumenten eines Professors zuhört und sie selbst durchdenkt. Aber Respekt kann man auch haben, wenn man einem Hund gegenübersteht, der seinen Kamm aufstellt und die Zähne fletscht. Respekt aus Angst.
Ich kannte den Begriff “Respekt” zuvor eher im Sinne von Autorität und Gehorsam. Auch hier ist mir die Bundeswehr noch gut in Erinnerung. Wenn jemand seinen Willen durchsetzt und Macht ausübt, hat man als Befehlsempfänger zu gehorchen und auszuführen.
Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen […]. (Max Weber)
Der Hauptfeldwebel fletscht die Zähne und bellt dem Rekruten Befehle zu. Unweigerlich wird Adrenalin ausgeschüttet, Stress entsteht, die Sinne werden in Alarmbereitschaft versetzt. Wenn der Rekrut seinen Freunden von dieser Situation berichtet, dann wird er die Emotion “Angst” wahrscheinlich lieber mit dem Begriff “Respekt” maskieren, denn “Ich hatte Respekt vor dem Feldwebel” klingt einfach besser als “Ich hatte Angst”.
“Respekt heißt, den Anderen sehen”
Während in früheren Zeiten ein starker Fokus darauf lag, Strafen anzudrohen und für fehlerhaftes Verhalten Strafen zu geben, um Angst vor Konsequenzen herbeizuführen, geht es heutzutage eher darum zu verhandeln und zu diskutieren. Ein gemeinsames Verständnis ist in vielen Fällen viel gewinnbringender als stupides Ausführen von Befehlen. In vielen Bereichen unserer Gesellschaft kann man zum Glück einen starken Wandel von der Befehls- zur Verhandlungskultur beobachten.
In meinen Augen ist dieses Aushandeln und Diskutieren nicht nur gewinnbringender, sondern gleichzeitig auch viel schwieriger als einen Befehl zu erteilen, weil es Geduld, Beharrlichkeit und ein ernsthaftes Interesse benötigt. Es ist die notwendige Voraussetzung, um die Motive und Bedürfnisse des Gegenübers zu ergründen, denn — wie es René Borbonus so schön ausdrückt, “Respekt heißt, den Anderen sehen”.2
1. Unterscheidung: Die zwei Dimensionen von Respekt
Professor van Quaquebeke aus Hamburg, der zum Thema “Respekt” intensiv forschte und Mentor der RespectResearchGroup ist, unterscheidet zwischen horizontalem Respekt und vertikalem Respekt.3
Horizontaler Respekt zeigt sich in einer generellen Achtung, Empathie und Wertschätzung für mein Gegenüber. Wenn wir also einer älteren Dame über die Straße helfen, dann passiert das genau auf dieser Basis: Wertschätzung. Dieser horizontale Respekt ist an keinerlei Bedingungen geknüpft, deshalb können wir ihn von unserer Umwelt auch einfordern.
Vertikalen Respekt dagegen muss man sich verdienen. Er ist nämlich an eine Leistung geknüpft. Wenn die Leistung zurückgeht, dann geht auch der Respekt zurück. Die Anerkennung für den Professor, geht auf seine Leistung zurück, dass er sich viele Jahre in eine Materie eingearbeitet hat. Der vertikale Respekt ist also mit Bedingungen verbunden.
Mit dieser zentralen Unterscheidung der zwei Bestandteile, wollen wir nun noch auf drei Ebenen schauen, die ebenfalls mit Respekt zusammenhängen.
2. Unterscheidung: Respektvoll sein auf drei Ebenen
Jemanden zu helfen, um zum Beispiel über die Straße zu kommen, oder jemandem zuhören, um zu verstehen (und nicht um zu antworten) sind zwei Möglichkeiten Respekt auszudrücken. In meinen Augen gibt es jedoch drei Ebenen, auf denen man respektvolles Verhalten etablieren kann:
In Handlungen — das ist die offensichtlichste Ebene: In den Kampfkünsten zeigt sich dies im voreinander Verbeugen (was im Alltag in etwa dem Händeschütteln entspricht). Eine offensichtliche Geste, die zeigt, dass man den anderen sieht.
In Worten: Auf dieser Ebene Respekt zu zeigen heißt, dass man auf beleidigende, verletzende und herablassende Äußerungen verzichtet und über die Sache mit Argumenten diskutiert. Das setzt voraus, dem Anderen zuzuhören und ggf. auch seine Motive wahrzunehmen.
In der Haltung und Einstellung: Auf dieser Ebene zeigt sich Respekt als grundlegende Offenheit für die Perspektive des anderen und dem Wunsch dem anderen seine Würde zu lassen.
Die praktischste Ebene, die uns im Alltag am häufigsten begegnet, ist sicherlich die verbale Ebene.
Respekt auf der sprachlichen Ebene
Respekt ist wie Luft. Wenn die Luft zum Atmen vorhanden ist, dann denkt keiner darüber nach. Sobald sie aber fehlt, denkt man an nichts anderes mehr.
Kerry Patterson und die Autoren von Heikle Gespräche4 verwenden die Metapher von Luft, um deutlich zu machen, wie notwendig Respekt in Gesprächen ist. Sie sind der Meinung, sobald sich Menschen missachtet fühlen, geht es nicht mehr um den Gesprächsinhalt, sondern nur noch um die Verteidigung der Würde. Fehlenden Respekt erkennt man also daran, dass Gesprächsteilnehmer ihre Würde behaupten wollen.
Wenn sich Menschen missachtet fühlen, dann werden sie angespannt. Ihre Angst wird zu Wut, dann wird geschmollt, geschrien oder gedroht.
Wenn es bereits so weit gekommen ist, dann sind die Gefühle der Schlüssel. Die Gefühle des Anderen anzuerkennen, sie anzusprechen und sie zu spiegeln, kann helfen, die Situation zu entspannen. Denn das Benennen von Gefühlen hilft bei deren Bewältigung.5
Um noch einmal auf Professor van Quaquebeke zurückzukommen: Respekt heißt auch, dass ich mich mit dem Gesagten auseinandersetzen muss und mich davon irritieren lassen darf. Auch wenn wir keine Lösung gefunden haben, respektvoll bleiben und die Frustration aushalten. Wir müssen im Dialog bleiben, bis wir eine Lösung gefunden haben.
Für mich heißt das konkret, möglichst dafür zu sorgen, dass sich Menschen weniger missachtet fühlen: Das Gegenüber zu Wort kommen und ausreden lassen, mit eigenen Worten das Gesagte wiederholen, um mein Verständnis zu überprüfen, für ausgewogene Redeanteile sorgen und wenn möglich einen sicheren Rahmen schaffen, damit auch kritische Themen angesprochen werden können.
Respektvolles Verhalten fördert gute Zusammenarbeit
Ich denke, respektvolles Verhalten ist deshalb so wichtig, weil es das Miteinander und die Zusammenarbeit im Team verbessert. Wenn die Interaktionen sachorientiert sind, dann lösen wir Probleme schneller und effizienter als wenn wir uns auf der Beziehungsebene nicht grün sind. Persönliche Attacken machen das Arbeiten schwer und langsam.
Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber bei mir ist es so, dass ich lieber mit Menschen zusammenarbeite, von denen ich weiß, dass sie mich respektieren. Auf einer vertrauensvollen Ebene miteinander umzugehen, hat für mich einen viel höheren Spaßfaktor.
Anstatt angespannt zu sein, weil man sich jede Äußerung dreimal überlegen muss, laufen die Gespräche mit einer gewissen Lockerheit. Knifflige Probleme können durchgesprochen und gemeinsam durchdacht werden, wobei auch ungewöhnliche Gedankengänge ausgesprochen werden können, ohne dass die verbale Bewertungskeule auf einen nieder rasselt.
In einer offenen, grundsätzlich entspannten Atmosphäre lernt es sich außerdem viel besser. Im Bereich der Wissensarbeit ist es essenziell, dass wir neues über unsere Kunden, über unser Produkt und über unsere technischen Werkzeuge lernen. Ein grundlegender Respekt fördert in meinen Augen diese Atmosphäre.
Fazit
Respekt ist der Sauerstoff unter den sozialen Elementen: für das soziale Überleben unverzichtbar, aber nicht selbstverständlich in der Atmosphäre.6
— René Borbonus
Respekt heißt, den anderen mit seinen Bedürfnissen und Motiven zu sehen. Als horizontaler Respekt ist er bedingungslos, als vertikaler Respekt ist er bedingt und an Leistung geknüpft.
Um jemanden Respekt zu zeigen, kann es zum einen helfen, Gefühle zu spiegeln. Zum anderen sollten wir uns mit dem Gesagten des Anderen auch intensiver auseinandersetzen und uns davon irritieren lassen.
Wenn wir eine Person erleben, die um Respekt ringt, dann sollten wir ihr einfach das geben, was sie braucht: ein wenig Luft zum Atmen.
Wie ist das bei dir? Wünschst du dir manchmal mehr Respekt in deinem Team oder in deinem Umfeld? Was hast du bisher versucht, um einen respektvolleren Umgang zu ermöglichen? Wie sind generell deine Gedanken zum Thema Respekt? Ich würde mich über einen Kommentar von dir freuen.
Schwaber, K., & Sutherland, J. (2020). The Scrum Guide. The Definitive Guide to Scrum: The Rules of the Game. https://scrumguides.org/scrum-guide.html
Borbonus, R. (10.03.2013). Streit vermeiden: Umgehe diese Rhetorik-Fehler // René Borbonus. https://youtu.be/9869CcKULwo
Köster, B. (02.04.2009). Respekt kann man nicht verlangen. Deutschlandfunk. https://www.deutschlandfunk.de/respekt-kann-man-nicht-verlangen-100.html
Patterson, K., Switzler, A., Grenny, J., & McMillan, R. (Hrsg.). (2012). Heikle Gespräche: Worauf es ankommt, wenn viel auf dem Spiel steht (2., aktualisierte und erw. Aufl). Linde-Verl.
Lieberman, M. D., Eisenberger, N. I., Crockett, M. J., Tom, S. M., Pfeifer, J. H., & Way, B. M. (2007). Putting Feelings Into Words. Psychological Science, 18(5), 421–428. https://doi.org/10.1111/j.1467-9280.2007.01916.x
Borbonus, R. (o. J.). Respekt! Ansehen gewinnen bei Freund und Feind. https://www.rene-borbonus.de/vortraege/respekt.html